Wir müssen unser Leben der Hitze anpassen
Hitzewarnungen, tropische Nächte: Extrem heiße Temperaturen werden infolge des Klimawandels häufiger. Und jetzt? Medizinpädagogin Julia Schoierer hat Antworten.
Hitzewarnungen, tropische Nächte: Extrem heiße Temperaturen werden infolge des Klimawandels häufiger. Und jetzt? Medizinpädagogin Julia Schoierer hat Antworten.
Derzeit steigen die Temperaturen in Südwest- und Südosteuropa extrem an - Meteorologen sehen die Hitzewelle im August auch auf Deutschland zukommen. Langanhaltende Temperaturen weit über 30 Grad sind für den menschlichen Organismus kräftezehrend und können gesundheitliche Probleme zur Folge haben.
Dr. Julia Schoierer ist Medizinpädagogin und leitet seit einigen Jahren die Arbeitsgruppe "Globale Umweltgesundheit und Klimawandel" am Institut für Arbeits- Sozial- und Umweltmedizin des Klinikums München. Die Medizinpädagogin möchte für die Gefahren von Hitze sensibilisieren. Denn ihr Forschungsschwerpunkt an der Poliklinik und am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Klinikums der LMU München liegt auf den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels.
Im Interview mit der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) gibt Dr. Schoierer einen Einblick in die Zukunft und erklärt, wie wir Extrem-Sommer überstehen können.
LMU: Die Temperaturen steigen, die Sommer werden heißer. Welche Folgen hat das für die Gesundheit?
Julia Schoierer: Zum einen fühlen wir uns oftmals abgeschlagen, schlapp und unruhig. Aber die Hitze wirkt sich auch direkt auf unsere Organe aus. Etwa auf das Gehirn, das unsere Kühlmechanismen steuert. Ist es durch die Hitze beeinträchtigt, bekommt es nicht genug Flüssigkeit – die beim Schwitzen verloren geht –, funktionieren unsere Kühlmechanismen nicht mehr so, wie sie sollten, und der Körper kann seine konstante Kerntemperatur nicht mehr halten.
Hitze belastet auch das Herz-Kreislauf-System, das sich anstrengen muss, Wärme über die Haut abzugeben. Hitze erhöht außerdem die Schadstoffbelastung in der Luft, was die Lunge beansprucht. In Kombination mit zu geringer Flüssigkeitszufuhr beeinträchtigt Hitze auch die Nieren.
LMU: Dass man bei Hitze schlechter schläft, macht die Bilanz nicht besser.
Julia Schoierer: Ja, der fehlende Schlaf wirkt sich negativ auf unsere körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit aus. Unfallgefahr, aber auch Aggressivität und Gewaltbereitschaft steigen.
Hitze wirkt sich direkt auf unsere Organe aus. Etwa auf das Gehirn, das unsere Kühlmechanismen steuert. Ist es durch die Hitze beeinträchtigt, bekommt es nicht genug Flüssigkeit – die beim Schwitzen verloren geht –, funktionieren unsere Kühlmechanismen nicht mehr so, wie sie sollten, und der Körper kann seine konstante Kerntemperatur nicht mehr halten.
LMU: Dabei fahren viele im Urlaub doch so gern in den Süden, um entspannt die Sonne zu genießen.
Julia Schoierer: Im Urlaub können wir unseren Rhythmus an die Tagestemperaturen anpassen. Zu Hause sind wir durchgetaktet und müssen funktionieren. Darum gönnen wir uns nicht die Pausen, die wir bräuchten. Dabei müssten wir bei Hitze besonders achtsam mit uns umgehen und uns kurze Pausen erlauben, wenn wir merken, dass uns die Hitze gerade sehr belastet. Pausen, um zu trinken, Wasser über die Unterarme laufen zu lassen, sogar ein kühlendes Fußbad zu nehmen oder an einem kühlen Ort einfach kurz auszuruhen.
"Wir sind in Deutschland noch nicht daran gewöhnt, dass Hitze die Gesundheit massiv beeinträchtigen kann."
Dr. Julia Schoierer (LMU)
LMU: Wer muss bei Hitze besonders aufpassen?
Julia Schoierer: Ganz unterschiedliche Gruppen: Schwangere und ihre ungeborenen Kinder; Kleinkinder, weil ihre Thermoregulation nicht ausgereift ist. Außerdem alle, die draußen schwer körperlich arbeiten und vielleicht sogar eine isolierende Arbeitskleidung tragen, aber auch Pflegekräfte, die drinnen harte Arbeit leisten, sowie Menschen mit chronischen Erkrankungen. Und natürlich Hochaltrige, vor allem, wenn sie allein leben, bewegungseingeschränkt sind und niemand nach ihnen sieht. Hinzu kommt, dass ältere Menschen, die unter Gangunsicherheit leiden, meist weniger trinken, um nicht auf dem Weg zur Toilette zu stürzen. Umso stärker muss man sie zum Trinken motivieren und ihnen Unterstützung anbieten.
LMU: Immer wieder hört man auch von jüngeren, sportlichen Leuten, die einen tödlichen Hitzschlag erleiden.
Julia Schoierer: Es gibt durchaus Personengruppen, die für sich selbst keine Gefahr wahrnehmen, obwohl sie die Hitze belastet. Wir sind in Deutschland noch nicht daran gewöhnt, dass Hitze die Gesundheit massiv beeinträchtigen kann. Darum muss noch eine Menge passieren, um das Wissen darüber in die Breite zu tragen.
LMU: Wie ließe sich die Aufklärung vorantreiben?
Indem die Menschen dort sensibilisiert werden, wo sie sich aufhalten: in Kitas, Schulen, bei der Arbeit. Ältere Menschen können gut durch die hausärztlichen Praxen und die Apotheken und Nachbarschaftshilfen erreicht werden. Für die Allgemeinbevölkerung wären Plakate sinnvoll und Banner im öffentlichen Nahverkehr, die Maßnahmen zum Hitzeschutz vermitteln.
LMU: Gehen die Schulen das Problem an?
Julia Schoierer: Mal mehr, mal weniger. Mit verkürzten Unterrichtszeiten allein ist es nicht getan. Die Kinder brauchen die Möglichkeit, sich immer wieder abzukühlen, mit nassen Tüchern zum Beispiel. Lehrkräfte beklagen, dass es in den Klassenzimmern morgens, wenn sie in die Schule kommen, wärmer ist als draußen, weil die Fenster über Nacht nicht offen gelassen werden können. Hierfür gilt es Lösungen zu finden.
LMU: Wie kommt man zu Hause besser durch die Hitzeperioden?
Julia Schoierer: Es ist wichtig, die Innenräume kühl zu halten, indem man sie tagsüber verschattet, nachts aber kühle Luft hereinlässt. Gut ist es, Geräte abzuschalten, die Wärme abgeben, aber nicht unbedingt die ganze Zeit laufen müssen. Außerdem geht es darum, den Körper zu kühlen, zum Beispiel eine Dusche zu nehmen, ohne sich hinterher abzutrocknen. Fußbäder entziehen dem Körper sehr effektiv Wärme. Man kann auch hin und wieder das Gesicht oder die Unterarme mit Wasser besprühen.
Wichtig ist, genug zu trinken, wasserreiches Obst und Gemüse zu essen, seine Unternehmungen den Temperaturen anzupassen und sich auf einen entspannten Alltag einzustellen. Wenn möglich, sollte man kühle und schattige Orte aufsuchen.
Generell muss die Pausenregelung flexibler werden und es ist wichtig, den Arbeitsbeginn und das Arbeitsende zu überdenken und, falls möglich, flexibel anzupassen, wenn die Temperaturen zu hoch sind.
Dr. Julia Schoierer (LMU)
LMU: Und wie lässt sich die Hitzebelastung am Arbeitsplatz senken?
Julia Schoierer: Generell muss die Pausenregelung flexibler werden und es ist wichtig, den Arbeitsbeginn und das Arbeitsende zu überdenken und, falls möglich, flexibel anzupassen, wenn die Temperaturen zu hoch sind.
Die Arbeitskleidungsvorschriften müssten gelockert, Getränke in der unmittelbaren Nähe des Arbeitsplatzes bereitgestellt werden. Auch die Personalplanung sollte das Problem berücksichtigen. Das ist nicht einfach, weil in vielen Bereichen Personal fehlt. Aber ich weiß von Ehrenamtlichen, die in Hitzeperioden zum Beispiel einspringen und Arbeitskräfte in Pflegeheimen entlasten.
LMU: Wird sich unsere Arbeitswelt insgesamt ändern müssen?
Julia Schoierer: Ja. Hitzeereignisse werden häufiger, intensiver und dauern länger an. Die Arbeitswelt muss sich anpassen. Spanien überlegt gerade, ein „Hitzefrei“ für Arbeiten, die im Freien stattfinden, einzuführen.
Das ist natürlich nicht generell machbar, Polizisten und Polizistinnen, Rettungssanitäterinnen und -sanitäter, Arbeitende auf dem Land und andere Berufsgruppen können ihren Dienst nicht einfach über den Sommer aufgeben. Aber der Vorschlag ist ein wichtiger Impuls, über den gesellschaftlichen Umgang mit Hitze nachzudenken.
Quelle: Presseabteilung Ludwig-Maximilians-Universität München
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