"Perspecticide": Wenn der Partner einen vergessen lässt, was real ist
Immer mehr Frauen werden Opfer von manipulativen Partnern, die sie durch Gehirnwäsche und emotionalen, psychischen und physischen Missbrauch an die Grenzen ihrer Existenz treiben.
Immer mehr Frauen werden Opfer von manipulativen Partnern, die sie durch Gehirnwäsche und emotionalen, psychischen und physischen Missbrauch an die Grenzen ihrer Existenz treiben.
Ein Viertel aller in Deutschland lebenden Frauen wurde bereits Opfer von häuslicher Gewalt. Mehr als 40 Prozent waren zudem psychischem Terror, wie zum Beispiel Drohungen ausgesetzt. Doch manche Beziehungspartner gehen noch einen Schritt weiter und rauben Frauen auch den letzten Funken ihrer Persönlichkeit. Diesen Umstand bezeichnen Experten als "Perspecticide" – eine passende Übersetzung wäre wohl "Gehirnwäsche", auch wenn der originale Begriff noch viel spezifischer ist.
Wenn einem der Lebenspartner sämtliche Unabhängigkeit samt der Identität nimmt, spricht man in Expertenkreisen von "Perspecticide". Hierbei wird das Opfer permanent kontrolliert und überwacht. Zeit für sich selbst? Gibt es nicht. Entscheidungsfreiheit? Gibt es nicht. Jedes kleinste Detail des Lebens wird penibel durchgeplant - man wird von Freunden und Familie abgeschottet und verliert jeglichen Bezug zur Außenwelt. Des Weiteren herrscht ein konstanter psychologischer Druck und Terror, was die leidende Person völlig verwirren und destabilisieren soll. Meinungen werden nicht toleriert oder manipuliert – bis das Opfer seine Persönlichkeit vollständig verliert und nur noch eine Marionette des Missbrauchers wird.
Die Psychologie-Expertin Lisa Aronson Fontes von der US-amerikanischen Universität von Massachusetts Amherst beschreibt im Interview mit "Business Insider" einen passenden Vergleich. Der Begriff "Perspecticide" reicht nämlich weit zurück. So wurden damals bereits Kriegsgefangene einer solchen Gehirnwäsche unterzogen. Auch in vielen Sekten ist diese Form der Manipulation üblich. Die moderne Variante überträgt fast genau dieselben Merkmale in eine Beziehung. Die Opfer verlieren dadurch sämtliches Realitätsgefühl und leben nur noch nach den Regeln der Missbraucher.
Die Hilfe-Webseite "Domestic Shelters" will diese Leute unterstützen. Opfer sollten demnach sofort einen Experten an ihre Seite ziehen – selbst, wenn keine physische Gewalt angewendet wurde. Hat man es bewerkstelligt, sich von der Person zu trennen gilt es allerdings noch, sie vollständig aus dem Kopf zu bekommen. Die Webseite empfiehlt hierbei, genau die Dinge zu tun, die einem vorher nicht möglich waren und die einem selbst gut tun. Man sollte zum Beispiel Sport treiben, sich pflegen und das essen oder kochen, was man möchte.
Der ständige Kontakt mit Freunden und Familie – der in der Beziehung völlig untermauert wurde – soll ebenfalls eine große Rolle in der Erholungsphase spielen. Darüber hinaus empfehlen die Experten, dass man seine Kreativität neu entdeckt und seine Leidensgeschichte mit anderen Leuten teilt. Am wichtigsten ist aber, dass man die Ketten des Missbrauchs bricht, sich von der Person befreit und den Fokus im Leben wieder auf sich selbst richtet.
In Deutschland gibt es das kostenlose und anonyme Hilfetelefon "Sexueller Missbrauch", das Ihr unter der 0800 22 55 530 kontaktieren könnt. Die geschulten Frauen und Männer hören zu, geben Ratschläge und bieten auf Wunsch auch aktive Unterstützung an. Unter der 08000 116 016 erreicht man außerdem noch das kostenfreie Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen", das rund um die Uhr erreichbar ist.